Digitalisierung: Der Test für den weiteren Fortschritt – was hat Vorrang: Mensch 2.0 – Menschheit resp. Gesellschaft 3.0 – Industrie 4.0?

Seit 1840 ist die Lebenserwartung in den hoch entwickelten Ländern von 40 auf 85 Jahre gestiegen. Das sind im Schnitt drei Monate pro Jahr! An Errungenschaften wie künstliche Gelenke, Herzklappen oder Schrittmacher haben wir uns gewöhnt. Auch das Klonen – zu Schaf Dollys Zeiten noch ein riesen Skandal – hat Einzug in den Alltag der Wissenschaft und Forschung gehalten. Fortschritt passiert einfach, die menschliche Neugier lässt sich nicht reglementieren. Science Fiction könnte kaum spannender sein als das, was sich im Moment in Forschung und Wissenschaft abspielt. Aus der Kombination von künstlicher und natürlicher Intelligenz entsteht im 21. Jahrhundert etwas Neues. Folgt jetzt auf den Homo sapiens eine verbesserte optimierte Version des Menschen – der Mensch 2.0? Ist die künstliche Intelligenz, die dabei in die Systeme und Maschinen ausgewandert ist, fähig, eine Parallellwelt zu bilden? Wird die Menschheit dümmer sein oder werden, als die von ihr geschaffenen Maschinen? Wird eine Einheit mit Robotiksystemen entstehen? Maßen wir uns etwa an Gott zu sein? Diese aktuelle Evolution des Menschen wird von Alexander Kluge und Basil Gelpke in einer hoch interessanten Filnreihe nachgezeichnet.

https://m.youtube.com/watch?v=4uFcRJHmmTc
Immer wieder wird die technische Seite der Digitalisierung betrachtet. Das kann man in einer Vielzahl von Büchern, Aufsätzen und Beiträgen in allen verfügbaren Medien nachlesen. Nach meiner Wahrnehmung kommen der Blick auf den Menschen und die Weiterentwicklung der Gesellschaft an sich zu kurz.

Dazu habe ich folgende Thesen aufgestellt:

These 1: Mensch 2.0 – soll heißen: der Mensch an sich hat sich mit kognitiven Fähigkeiten in den letzten 6.000 Jahren nicht wesentlich weiterentwickelt

Zu den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen zählen u. a. die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, die Erinnerung, das Lernen, das Problemlösen, die Kreativität, das Planen, die Orientierung, die Imagination, die Argumentation, die Introspektion, der Wille, das Glauben und einige mehr. Auch Emotionen haben einen wesentlichen kognitiven Anteil.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kognition

„Im alten Ägypten gab es also Menschen, die denken, lesen, schreiben und rechnen konnten. Können wir mehr? Nein. Das heißt, die Leute am Nil verfügten über die gleichen kognitiven Fähigkeiten – und das vor 6.000 Jahren. Das ist der Wahnsinn oder?“
Vgl. dazu Prof. Harald Lesch und Klaus Kamphausen „Zum Stand der Dinge: Die Menschheit schafft sich ab“ (Komplett Media Verlag), S.131.

Natürlich sind wir heute aufgeklärter. Zumindest in Teilen der Welt. Gemessen an der technischen Entwicklung, die sich in den Begrifflichkeiten Digitalisierung und Industrie 4.0 widerspiegelt, ist der Mensch an sich nicht 4.0, sondern allenfalls 2.0. Wobei ich mit Mensch 2.0 nicht den Menschen meine, wie er eingangs in Zusammenhang mit Robotik dargestellt wurde. Ich meine damit einen Menschen, der die Unzulänglichkeiten überwindet oder überwunden hat, wie es in meinem gesonderten Blog-Beitrag Lab Earth dargestellt ist.
Wäre der Mensch auch entsprechend der technischen Entwicklungen ein Mensch 4.0, dann dürfte es Probleme wie Kriminalität, Folter, Geldgier und Ausbeutung u.a. nicht geben.

These 2: Menschheit resp. Gesellschaft 3.0 – soll heißen: die Menschheit in ihrer gesellschaftlichen Entwicklung ist im Grunde genommen nicht weiter als die alten Hochkulturen, wie die Ägypter und die Sumerer vor 6.000 Jahren.

„Im Grunde genommen unterscheiden sich die Hochkulturen vor 6.000 Jahren nicht gravierend von den heutigen. Damals wie heute gab es Regierende, Verwaltung und das Volk. Insofern haben wir uns nicht viel weiterentwickelt. Abgesehen davon, dass im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts keine Alleinherrscher mehr Dynastien errichten.
Wir leben in Demokratien, in denen möglichst viele Menschen an der Willens- und Meinungsbildung teilnehmen. Das ist aber auch alles.“
Vgl. dazu Prof. Harald Lesch und Klaus Kamphausen „Zum Stand der Dinge: Die Menschheit schafft sich ab“ (Komplett Media Verlag), S.132

Natürlich haben wir in Teilen der Welt, insbesondere der westlichen Welt, bessere Sozial- und Gesundheitssysteme und Errungenschaften wie z.B. die Europäische Union.
Deshalb ordne ich gemessen am technischen Fortschritt die Gesellschaft als Ganzes unter 3.0 ein.
Wäre die Menschheit und die Gesellschaft gemessen am technischen Fortschritt ebenfalls eine Menschheit 4.0, dann dürfte es Probleme wie Hunger, Krieg, Umwelt- und Ressourcenzerstörung, Religionskriege, Terrorismus usw. nicht geben.

These 3: Eigentlich wären Innovationen am Menschen an sich sowie in der Gesellschaft an sich notwendig, um überhaupt die geistig-moralischen Voraussetzungen zu schaffen. Voraussetzungen dafür, dass sich Industrie 4.0 bzw. das, was danach kommen wird, im Sinne der Erde und Natur, der Menschheit und damit den Menschen nachhaltig im positiven Sinne weiterentwickeln kann. Wettbewerb ja, aber eingebettet in Kooperation und Co-Evolution.

Wettbewerb

„Das sollten wir im Hinterkopf behalten: Wettbewerb erzwingt Anpassung an sich verändernde Umstände. Der Wettbewerb ist der Antriebsmotor des Lebens. Ohne ihn könnte sich nichts entwickeln und es gäbe keinen Fortschritt. Das ist auch der Grund dafür, dass niemals genau zwei gleiche Organismen einer Art auftreten. Es gibt immer kleine und kleinste Variationen unter den Vertretern einer Spezies. Einer ist ein bisschen größer, ein Anderer ein bisschen dicker, die Einen vollziehen die Photosynthese ein wenig effizienter oder ein bisschen schneller fort.
Welche Variante, welche Eigenart sich als Vorteil für das Individuum erweist, stellt sich erst im Nachhinein heraus, wenn genau dieses Lebewesen die nächste Veränderung seiner Umgebung erfolgreich übersteht und seine vorteilhaften Gene an die Nachkommen verteilen kann.
Die Evolution ist wie eine Wette auf die Zukunft. Auch in uns, der Spezies Mensch des 21. Jahrhunderts, spielt sich die ständige Kreativität und zelluläres Wachstum ab.
(…)
Der Mensch ist in diesem permanenten Überlebenskampf immer besonders erfolgreich gewesen. Er bewohnt sämtliche Klimazonen der Erde und passt sich mit Hilfe seiner kognitiven Fähigkeiten, mit Kultur und Technik, Sprache und Wissenschaft ständig an die Umwelt an. (…)“.

Kooperation

„Kooperation ist ein ebenso wichtiges Prinzip der Evolution wie Wettbewerb. Hier geht es nicht um „survival of the fittest“. Es geht darum, sich gemeinsam die Möglichkeit zu verschaffen, dass es weitergehen kann. Evolution bedeutet, dass die gesamte Natur, Umwelt und Lebewesen, dynamisch so miteinander wechselwirken, dass das Leben weitergeht. Wenn einer alles auffrisst, ist das Spiel zu Ende. Co-Evolution ist eben genau das Gegenteil von „survival of the fittest“. Das System muss in einem dynamischen Gleichgewicht bleiben, nicht in einem stationären Gleichgewicht, denn das bedeutet das Ende. (…)“.
Vgl. dazu Prof. Harald Lesch und Klaus Kamphausen „Zum Stand der Dinge: Die Menschheit schafft sich ab“ (Komplett Media Verlag), S. 72 bzw. S. 76, Kapitel:Wettbewerb und Kooperation

Wenn man sich die voraussichtlichen Auswirkungen der Digitalisierung bzw. Industrie 4.0 anschaut, wird Folgendes mit hoher Wahrscheinlichkeit passieren:

  1. Es wird Alles und jede Tätigkeit digitalisiert werden, bei der dies möglich ist. Natürlich werden auch neue Jobs entstehen und zwar hochqualifizierte, aber nicht in der Anzahl und dem Umfang wie Arbeitsplätze wegfallen werden.
  2. Die Einkommens- und Vermögensunterschiede werden sich weiter verzerren.
  3. Die Konzentrationsprozesse in der Wirtschaft werden sich verstärken. Es wird nach und nach nur noch einige Big Player geben und zwar diejenigen, die Daten, Netze und Systeme in jeglicher Hinsicht beherrschen.
  4. Ein einzelner Staat wird nicht mehr in der Lage sein, sich den wirtschaftlichen und technischen Big Playern entgegenzustellen, weil die Big Blayer global handeln.

Auf den Punkt gebracht: der Wettbewerb und die daraus resultierende wirtschaftliche Macht werden aufgrund der eintretenden Konzentration und Verzerrung in ein negatives stationäres Gleichgewicht gelangen – und das ist für den Planeten Erde, die Menschheit und den Menschen an sich keine gute Entwicklung.

Sie halten das für Untergangsdenken?

Ich habe lediglich eine wahrscheinliche und mögliche Entwicklung dargestellt, die eintreten kann, wenn wir als Menschen bequem sind und unsere Komfortzone nicht verlassen.
Ich bin keineswegs negativ eingestellt. Ich glaube, dass wir noch genügend Chancen und Möglichkeiten haben, diese Entwicklungen im positiven Sinne zu gestalten.
Dazu müssen wir „lediglich“ innovativ sein und zu Menschen 4.0 und zur Gesellschaft 4.0 werden.

Was das heißt?

„Willst Du das Land in Ordnung bringen, so musst Du zuerst die Provinzen in Ordnung bringen. Willst Du die Provinzen in Ordnung bringen, so musst du zuerst die Städte in Ordnung bringen. Willst Du die Städte in Ordnung bringen, so musst Du zuerst die Familien in Ordnung bringen. Willst Du die Familien in Ordnung bringen, so musst Du zuerst Deine Familie in Ordnung bringen. Willst Du Deine Familie in Ordnung bringen, so musst Du zunächst Dich selber in Ordnung bringen.“
-Alte chinesische Weisheit –

Das Feld ist groß. Dazu fallen mir folgende Dinge ein:

  • Menschen, die optimistisch sind und beschließen Kinder in die Welt zu setzen, weitestgehend finanzielle Förderung zu Teil werden lassen, z.B. flächendeckende Befreiung von Beiträgen für Kindergarten und Kindertagesstätten
  • Religiöse Gräben überwinden
  • Stärken des Kapitalismus nutzen, um soziales Gleichgewicht zu stärken und neu auszurichten
  • Das umsetzen, was gut für die Gemeinschaft ist und nicht für einzelne Menschen oder einzelne Gruppen, d.h. Einschränkung des Lobbyismus
  • Wirkliche Förderung von Existenzgründung und Start Ups bzw. Create Ups
  • Bildungssystem angemessen anpassen im Sinne von Stärkung der Kreativität, der Kommunikation, der Mustererkennung und des Ideenreichtums.
  • Bildung wirklich für sozial und finanziell benachteiligte Menschen öffnen

Unser Schulsystem ist Mist! | Harald Lesch
Harald Lesch: Warum das deutsche Schulsystem uns alle verblödet.

Dieses Video ist eine Produktion des ZDF, in Zusammenarbeit mit objektiv media.
https://www.youtube.com/watch?v=-q0Sm8Kldn0

Wenn wir wirklich die Entwicklung in der Digitalisierung im positiven Sinne gestalten wollen, setzt dies voraus, dass viele von uns „endlich“ ihre Komfortzone verlassen und bereit sind sich
• politisch
• gesellschaftspolitisch
• Ehrenamtlich
• Unternehmerisch
zu engagieren.

Meinen aufrichtigen Dank an diejenigen, die dies bereits in vielfältiger Art und Weise tun.
Und die Bitte mit gleichzeitiger Aufforderung, an diejenigen, die viel tun und bewirken könnten, es aber bisher aus den verschiedensten Gründen nicht tun, ihr Potenzial in unsere Gesellschaft und Zukunft einzubringen.

„Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe von Menschen, die Welt verändern kann. Tatsächlich sind das die einzigen, die das je getan haben.“
Margareth Mead, Amerikanische Ethnologin


Volker Mühl