Woher nehmen wir eigentlich unser ganzes Nichtwissen?

„Wir waren jene,

die wussten,

aber nicht verstanden,

voller Informationen,

aber ohne Erkenntnis

randvoll mit Wissen,

aber mager an Erfahrung.

So gingen wir,

von uns selbst

nicht aufgehalten.“

Roger Willemsen

Roger Willemsens letztes Buch sollte „Wer wir waren“ heißen. Es sollte die Versäumnisse der Gegenwart aus der Perspektive derjenigen erzählen, die nach uns leben werden. Dieses Buch werden wir nie lesen können. Umso stärker wirkt eine Rede, die Roger Willemsen noch im Juli 2015 gehalten hat. Sie ist nicht nur das melancholische Resümee und die scharfe Analyse eines außergewöhnlichen Zeitgenossen, sondern zugleich das leidenschaftliche Plädoyer für eine „Abspaltung aus der Rasanz der Zeit“. Sie ist ein Aufruf an die nächste Generation, sich nicht einverstanden zu erklären.

Ich möchte Ihnen gerne frei interpretiert von dieser Rede erzählen – das was mich sehr bewegt hat.

Außerdem möchte ich Ihnen in diesem Zusammenhang gerne provokante Thesen von Graeme Maxton, Generalsekretär des Club of Rome, vorstellen.

Der Mensch ist von Anbeginn seiner Tage immer nur in der Krise

Die Krise des Homo Sapiens hat sich ausgedehnt und ausgeweitet, als eine Krise des gesamten Planeten. Nimmt man es genau, ist es auf unserer Erde von Anfang aller Tage immer nur schlechter geworden: unsere Umwelt, unsere Luft und das Wasser, die Manieren, das Niveau der politischen Persönlichkeiten, der Zusammenhalt unter den Menschen und das Aroma der Tomaten und Salatgurken. Ja genau, und die Jugend sowieso. Ich kann mich erinnern: unser Jahrgang (1965) soll der schlechteste seit Menschengedenken gewesen sein, sagten zumindest unsere Lehrer. Wo soll das noch hinführen? In welche Zukunft?

Eines ist sicher in der Zukunft: die Krise

Ob Bankenkrise, Staatenkrise, Eurokrise, Klimawandel, Übersäuerung der Meere, Abschmelzen der Pole und der Gletscher, Erlahmen des Golf-Stroms, Einwanderung und Migration, Hungersnöte, Abholzen des Regenwaldes im Amazonasgebiet, Wassermangel, Religionskriege, Terrorismus, Burnout, Wiederaufflammen des Nationalismus, Protektionismus, Trumpismus, überbordender Tourismus, multiresistente Keime in Krankenhäusern und so weiter und so weiter.

Die meisten von uns können es nicht mehr hören, oder?

In der heutigen Zeit sind die wahrnehmbaren Spuren und Ergebnisse unseres Lebens, die Konsequenzen des Handelns der Menschheit, so sichtbar wie nie zuvor. Ich denke, wir sind uns einig. Für den Menschen des 19. Jahrhunderts war es nicht unbedingt sichtbar, aber für uns Menschen heute, die diese Auswirkungen tagtäglich auf allen verfügbaren Medienkanälen präsentiert bekommen. Kann es da überhaupt möglich sein, uns „nachher“, also dann wenn das „Kind endgültig in den Brunnen gefallen ist“, wenn wir in der Zukunft von den nachfolgenden Generationen zur Rechenschaft und Verantwortung gezogen werden, zu sagen „davon haben wir nichts gewusst“?

Offenbar verschlechtert sich unsere Lebensgrundlage in Schüben. Gerade im Moment ist es wieder spürbar.

Woher nehmen wir eigentlich die Fähigkeit und die Ignoranz für all unser Nichtwissen?

Komisch ist dabei aber auch: Mag vieles „vor die Hunde gehen“, die Zukunft hat ein blendendes Image. Zumindest auf Wahlkampfplakaten und in Wahlkampfparolen. Eigentlich weist nicht viel darauf hin, dass unsere Zukunft sicherer, gesünder, friedvoller und freier sein wird. Aber vielleicht bequemer, effizienter, unwirklicher und unmenschlicher. Zumindest, wenn wir nicht aufpassen.

Die Menschen irren sich meist über die Zukunft

Und das taten ganz besonders auch bedeutende Persönlichkeiten. Hier einige Beispiele:

Kaiser Wilhelm II, 1904, in einem Mercedes Simplex sitzend:

„Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze auf das Pferd.“

Gottlieb Daimler, 1901, Pionier der Kraftfahrzeuge:

„ Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht übersteigen – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren!“

Wilbur Wright, 1901, Pionier der Luftfahrt:

„Der Mensch wird es in den nächsten fünfzig Jahren nicht schaffen, sich mit einem Metallflugzeug in die Lüfte zu erheben.“

Ferdinand Foch, 1911, französischer Militärstratege:

„Flugzeuge sind interessant, haben aber keinerlei militärischen Wert.“

H.G. Wells, 1901, futuristischer Schriftsteller:

Tut mir leid, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was U-Boote im Krieg bewirken könnten – außer die Besatzungsmitglieder dem Erstickungstod auszusetzen.“

Harry M. Warner, 1927, Chef von Warner Brothers:

„Wer zum Teufel will denn Schauspieler sprechen hören?“

Lee de Forest, 1926, Vater des Radios:

„Auf den Fernsehen sollten wir keine Träume vergeuden, weil es sich einfach nicht finanzieren lässt.“

Darryl F. Zannuck, 1946, Chef der Filmgesellschaft 20th Century-Fox:

„Der Fernseher wird sich auf dem Markt nicht durchsetzen, die Menschen werden es sehr schnell leid sein, jeden Abend auf eine Sperrholzkiste zu schauen.“

Thomas Watson, 1943, CEO von IBM:

„Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.“

Ken Olsen, 1977, Gründer von Digital Equipment:

„ Es gibt keinen Grund, warum jeder einen Computer zu Hause haben sollte.“

Robert Metcalfe, 1996, Erfinder der Ethernet-Verbindung, der heute Standard für kabelbasierte Netzwerke ist:

„Das Internet wird bald wie eine spektakuläre Supernova in einem katastrophalen Kollaps untergehen“

Aus heutiger Sicht scheinen diese Aussagen dumm und lachhaft. Die Aussagen wurden jedoch zur damaligen Zeit von bedeutenden Persönlichkeiten gemacht. Wie kommt es dazu, dass in der jeweiligen Zeit bedeutende Menschen so über die Zukunft irren?

Paradigmen herrschen über uns

Das Wort „Paradigma“ kommt aus dem griechischen und bedeutet so viel wie: „Das Muster, dass wir zu sehen erwarten.“ Wir tun, was wir bildhaft gesprochen, sehen und denken. Und was wir sehen, erreichen wir – oft. Und was wir nicht sehen, erreichen wir meistens nicht, weil wir keine Vorstellung davon haben, dass es überhaupt erreichbar ist.

Unsere Paradigmen, man kann auch sagen „Glaubenssätze“, herrschen über uns. Oft sind sie das Ergebnis der Erziehung und/oder unseres inne wohnenden Pessimismus oder Konventionen.

Auch bedeutende Menschen, die in ihrem jeweiligen Fachgebiet Bedeutendes geleistet haben, unterliegen ihren eigenen Paradigmen und sie sind natürlich nicht „allwissend“.

Und wie schon Winston Churchill sagte: „Prognosen sind ungewiss, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen!“

Welche Paradigmen tragen Sie selbst in sich ?

Mit 7 Milliarden Menschen scheint die Erde an ihre Grenzen stoßen zu lassen

Braucht es „am Ende“ keine nukleare Katastrophe, sondern nur genug Menschen, um unsere eigene Lebensgrundlage zu zerstören? In „Mensch vs. Erde“ stellt Graeme Maxton, Generalsekretär des Club of Rome, seine provakanten Thesen vor, damit es nicht soweit kommt.

Seit Jahrzehnten erklären Umweltschützer und Klimaforscher, dass die Menschheit sich verändern muss. Sie argumentieren, dass es zu viele Menschen auf der Welt gibt, die zu viel Verschmutzung verursachen. Ohne einen grundlegenden Wandel, sagen sie, werde das natürliche System letztendlich kollabieren und das Gebäude mit sich reißen, das wir über so viele Generationen hinweg errichtet haben – die moderne Zivilisation.

Der Kern des Problems ist einfach zu verstehen. Ein andauerndes Wachstum von Bevölkerung, Ressourcenverbrauch oder Umweltverschmutzung auf einem endlichen Planeten, führt unweigerlich zu einer Überschreitung der physischen Grenzen unserer Erde. Das Ergebnis wird der Zusammenbruch sein. Zusammenbruch meint hier einen plötzlichen Rückgang wirtschaftlicher Aktivität, Bevölkerung und Wohlstand. Es ist ein Prozess unserer Zivilisation, der nicht nur ein paar Jahre, sondern viele Jahrzehnte dauert – es sei denn, der Menschheit gelingt ein geordneter Rückgang zu einem tragfähigen Lebensstandard.

Leider sind die Rufe nach Veränderung in den letzten 40 Jahren auf zu taube Ohren gestoßen. Trotz reichhaltiger Belege, dass die Menschheit weit jenseits ihrer ökologischen Grenzen lebt, gab es bis heute keine ausreichende Veränderung. Die letzte Klimakonferenz in Marrakesch im November 2016 (COP22) endete mit der Ausarbeitung einer detaillierten Strategie, um das Pariser Abkommen in die Tat umzusetzen. Der Vertrag, der von 195 Staaten unterzeichnet wurde, hat zum Ziel, die Erderwärmung auf 2 Grad, verglichen mit dem vorindustriellen Level, zu limitieren. Darüber hinaus haben 45 Staaten sich dazu verpflichtet, bis zur Mitte des Jahrhunderts vollständig auf erneuerbare Energien umzusteigen. Bislang jedoch wurden die stetig ansteigenden Emissionen von Treibhausgasen auch durch Klimakonferenzen nicht reduziert.

Industrieländer müssen zum Gelingen mit gutem Beispiel vorangehen. Die Menschheit muss verstehen, dass das Problem „Überbevölkerung“ eines Tages gelöst werden wird – unabhängig davon, ob es den Menschen recht ist oder nicht. Es wird entweder durch die Natur gelöst, mittels einer Art ökologischen oder gesellschaftlichen Kollapses. Oder aber die Menschheit entscheidet selbstbestimmt, die Erdbevölkerung zu reduzieren und ein System zu entwickeln, in dem die verbleibende Menschheit friedlich innerhalb der Grenzen der Natur zu leben lernt.

Graeme Maxton räumt ein, dass seine nachfolgenden 13 Vorschläge nicht den Interessen der Reichen entsprechen und folglich auf Widerstand unter Unternehmern und vielen Geschäftsleuten treffen werden.

Ein Prozent ist genug: 13 Vorschläge, um das durchschnittliche Wohlergehen in Industrieländern zu erhöhen.

1. Die Länge des Arbeitsjahres verkürzen, um Arbeitenden mehr Freizeit zu gewähren.

2. Das Rentenalter erhöhen, um älteren Menschen zu ermöglichen, sich so lange wie sie wollen selbst zu versorgen.

3. „Bezahlte Arbeit“ neu definieren, sodass der Begriff Menschen einschließt, die sich zu Hause um andere kümmern.

4. Das Arbeitslosengeld erhöhen, um die Nachfrage während der Umstellung der Wirtschaft aufrechtzuerhalten.

5. Steuern für Reiche und Unternehmer erhöhen, um Profite, besonders die der Robotisierung, umzuverteilen.

6. Die Nutzung von Grünen Konjunkturpaketen durch expansive Geldpolitik oder Steuererhöhungen ausweiten, um Regierungen zu ermöglichen, auf die Erderwärmung und den Bedarf nach Umverteilung zu reagieren.

7. Steuern auf fossile Brennstoffe erheben und die Erlöse in gleichen Teilen an alle Bürger verteilen, um erneuerbare Energien wettbewerbsfähiger zu machen.

8. Anstelle von Beschäftigung den Verbrauch von Ressourcen und Emissionen besteuern, um den ökologischen Fußabdruck zu verringern, Arbeitsplätze zu bewahren und die Erschöpfung von Rohstoffen zu begrenzen.

9. Die Erbschaftssteuer erhöhen, um Ungleichheit zu reduzieren und die Staatseinnahmen zu steigern.

10. Gewerkschaften fördern, um Arbeiterlöhne zu stärken und Ausnutzung durch Arbeitgeber zu reduzieren.

11. Wo es nötig ist, den Handel einschränken, um Arbeitsplätze zu sichern und die Umwelt zu schützen.

12. Frauen mit höchstens einem Kind „belohnen“, um den Druck der Menschheit auf den Planeten zu reduzieren.

13. Ein garantiertes Einkommen, das zum Leben reicht, für Bedürftige einführen, damit jeder Mensch unbesorgt leben kann.

Nur mittels funktionstüchtiger Demokratien gibt es eine Chance, dass diese Vorschläge akzeptiert werden – eine hohe Hürde im postfaktischen Zeitalter. Aber eine demokratische Mehrheit kann diese Debatte noch immer gewinnen, so wie es im letzten Jahrhundert etwa bei Themen wie bessere Gesundheitsvorsorge, bessere Bildung oder mehr Umweltschutz der Fall war. Langwieriges und zähes Ringen ist dabei sehr wahrscheinlich.

Die größte Hürde für gesellschaftliche Transformation ist nicht ökonomischer Natur. Sie ist politisch. Sie betrifft die Frage menschlicher Selbstorganisation. Wir haben, Stand heute, bereits genug Ressourcen auf der Welt und mit Sicherheit hinreichende Produktivitäts-Kapazitäten, geeignete Technologien und ausreichend angehäuften Reichtum, um den Übergang zu einem gesünderen System zu meistern – sogar mit einer Bevölkerung von über 7 Milliarden Menschen.

Graeme Maxton meint, dass es mittels dieser 13 Vorschläge tatsächlich möglich ist, das heutige, totgeweihte Wirtschaftssystem der Industrieländer in ein nachhaltigeres System zu verwandeln, inklusive gesteigertem Wohlbefinden für die Mehrheit der Bevölkerung.

Ob diese Vorschläge geeignet sind, die Zukunft erfolgreich zu bewältigen, werden die Menschen der Zukunft zu beantworten haben.

„Wir waren jene,

die wussten,

aber nicht verstanden,

voller Informationen,

aber ohne Erkenntnis

randvoll mit Wissen,

aber mager an Erfahrung.

So gingen wir,

von uns selbst

nicht aufgehalten.“

Roger Willemsen

Wir, die wir heute leben, können uns aber vor uns selbst nicht damit rausreden: „Davon haben wir nichts gewusst.“

In jedem Fall sollten wir stets unsere eigenen Paradigmen überprüfen.

Ihr Volker Mühl


Volker Mühl