Über (soziale) Gerechtigkeit

Die Frage nach der Gerechtigkeit beschäftigt die Menschheit, die Philosophen, die Politik, wahrscheinlich jeden Einzelnen von uns oft oder ständig. Und wie kann es anders sein, sie wird je nach Standpunkt und Interessenlage unterschiedlich beantwortet. Natürlich gibt es Definitionen und Beschreibungen:

Gerechtigkeit ist ein Prinzip eines gesellschaftlichen und/oder staatlichen Verhaltens, bei dem jedem Mensch sein persönliches Recht in gleicher Weise gewährt werden soll.“

Gerechtigkeit

Gerechtigkeit ist der optimale Zustand eines sozialen Miteinanders, bei dem stets ein fairer Ausgleich (Balance) aller Interessen, Vergütungen sowie Chancen hergestellt wird. Ein Sinn für Gerechtigkeit einer einzelnen Person oder einer Gruppe von Menschen geht einher mit bestimmten Normen und Werten (Handlungsnormen, Rechtsnormen) und schafft im besten Fall Rituale, die ein gerechtes Miteinander erzeugen.

Soziale Gerechtigkeit im Wahlkampf

Im bevorstehenden Wahlkampf zur Bundestagswahl wird das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ das bestimmende Thema sein. Angela Merkel und Martin Schulz haben dabei unterschiedliche Vorstellungen – wie kann es anders sein. Und wenn die anderen Parteien einbezogen werden, gibt es weitere Unterschiede über das Verständnis von Gerechtigkeit.

(Un-)Fairness

Aktuell verdreht der amtierende US-Präsident die Debatte um Gerechtigkeit. Er hat dem Wort „unfair“ eine ganz neue Bedeutung gegeben. Plötzlich diskutiert niemand mehr darüber, dass die USA (und auch die EU) dem Rest der Welt mit mehr oder weniger hartem Druck ein Handelssystem aufgedrängt haben, das viele Länder des Südens und deren Menschen benachteiligt. Plötzlich ist unfair, was Amerika schadet.

Doch es gibt auch innerhalb der wirtschaftlich starken, westlichen Volkswirtschaften Gewinner und Verlierer der Globalisierung. Dies gilt auch für Deutschland.

Maßstab der Gerechtigkeit

„Die Schwächsten sind der Maßstab für die Gerechtigkeit.“

Margot Käßmann (*1958), evangelisch-lutherische Theologin & Pastorin.

Ist es richtig, dass die Schwächsten der Maßstab für die Gerechtigkeit sind? Ist nicht auch zu respektieren, dass bei aller Gerechtigkeit zu berücksichtigen ist, welchen Einsatz und Fleiß der Einzelne oder eine Familie erbringt oder erbracht hat? Ist es andererseits gerecht, wenn über Generationen hinweg, die weitere Entwicklung – positiv wie negativ – weitgehend vorgezeichnet ist, weil man in bestimmte Lebensumstände hineingeboren wird?

Es scheint ja so zu sein, dass wir zufällig in unser jeweiliges Leben hineingeboren sind, es also genauso sein könnte, dass der Einzelne anstatt in positive Lebensumstände in negative Lebensumstände hineingeboren wird oder umgekehrt. Je nach religiöser Anschauung haben wir nur „ein“ Leben zur Verfügung, um unser Bestes zu geben oder „mehrere“ Leben, da wir nach dieser Anschauung wiedergeboren werden und die Möglichkeit haben, neue, bessere und höhere Ebenen zu erreichen.

Wie kommt es, dass wir die Höhe von Top-Managervergütungen in allen Einzelheiten diskutieren und gewisse Höhen als ungerecht empfinden, jedoch bei Sportlern und Künstlern (Pop-Stars und Schauspielern) dieses Thema weitgehend ausgeblendet wird? Fußballfans, die oft zu den unterdurchschnittlichen Verdienern gehören – gerade in den lateinamerikanischen Ländern wie Brasilien oder Argentinien, identifizieren sich vollständig mit ihren hochbezahlten Idolen und gönnen ihnen ihr hohes Salär ohne Weiteres. In Bundesligastadien verdienen Manager, Trainer und Spieler einerseits Abermillionen, andererseits zahlt man den Ordnungskräften im Stadion und den Servicekräften im VIP-Bereich nicht viel mehr als den Mindestlohn. Und diese empfinden es dabei oftmals noch als Auszeichnung für den Verein X oder Y unter diesen Bedingungen arbeiten zu dürfen. Wie ist das zu begründen: mit Emotionen und „Brot und Spiele für das Volk“?

Grundprinzipien

Nach meiner Anschauung und Meinung sollten wir Menschen, gleich welcher politischer Anschauung wir sind, in der Lage sein, einen gewissen Grundkonsens zu erreichen, über das was sozial gerecht ist. Dabei müssen Aspekte des Neides genauso ausgeschaltet werden, wie die Einstellung „alles Mir“.

Der Grundkonsens hat dabei m.E. folgende Grundprinzipien, wobei die nachstehende Aufzählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt:

1. Jeder Mensch muss im Sinne einer Teilhabegerechtigkeit die Chance haben, den für sein persönliches Potenzial höchstmöglichen Bildungsabschluss zu erwerben und dabei die Möglichkeit bekommen, nach seinen Talenten und Neigungen einen Beruf zu erlernen bzw. ein Studium zu absolvieren. Der Besuch von Kindertagesstätten, Kindergärten, Schulen, Fachhochschulen und Universitäten muss grundsätzlich kostenlos sein. Kostenpflichtige Berufsausbildungen darf es nicht geben – in keiner Branche.

2. Gleichheit und Gerechtigkeit als Ausgangsvoraussetzung kann nicht bedeuten, dass für alle das gleiche Ergebnis herauskommen muss und darf. Je mehr Einsatz jemand bringt, umso mehr Belohnung und Entlohnung steht dem Einzelnen zu. Auch wenn jemand Risiken im unternehmerischen Bereich eingeht, ist es legitim, dass einem grundsätzlich die Früchte daraus zustehen müssen. Quasi als Entlohnung für das zu tragende Risiko.

3. Es muss möglich sein, dass man bei einer Vollzeitstelle, ganz gleich in welcher Branche, von der Entlohnung leben können muss, sei es als Einzelperson, sei es als Familie. In der Realität ist es jedoch so, dass es Branchen gibt, die weniger ertragreich sind als andere. Wenn es also nicht möglich ist, bei einer Vollzeitstelle von dem erzielten Einkommen zu leben, dann muss bis zu einem gewissen Grundeinkommen eine staatliche Hilfe im Wege der Umverteilung hinzukommen.

4. Kein Bürger darf unangemessen hoch besteuert werden. Die Belastungen mit Steuern und Abgaben darf die Hälfte des Einkommens nicht übersteigen. Erbschaften müssen angemessen besteuert werden. Das neue Erbschaftsteuerrecht ist viel zu kompliziert und höchstwahrscheinlich wieder verfassungswidrig; daher erscheint ein Steuersatz im niedrigen Bereich praktikabler.

5. Benachteiligte Menschen, z.B. durch körperliche und geistige Behinderung oder durch Erkrankung, müssen angemessen unterstützt werden. Eine angemessene Inklusion ist Menschenpflicht.

6. Es kann nicht sein, dass wir weiterhin ein zweigeteiltes Gesundheitssystem haben. Das (privatversicherte) Menschenleben ist nicht mehr wert als ein anderes (gesetzlich versichertes) Menschenleben. Wenn es um die Gesundheit geht, dann müssen alle Menschen ausnahmslos gleich behandelt werden.

7. Menschen, die versuchen sich auf Kosten der Allgemeinheit absichtlich Leistungen zu erschleichen, die ihnen nicht zustehen, verwirken ihre Rechte und müssen angemessen bestraft werden. Gleiches gilt für gierige Steuerhinterzieher.

8. Verschiedene Generationen dürfen nicht absichtlich stark belastet oder begünstigt werden.

Absolute Gerechtigkeit

Eine absolute Gerechtigkeit ist kaum herstellbar, da die Wertvorstellungen (Gewichtungen) – über die parteilichen Parameter – den o.a. Ausgleich, wegen unterschiedlichen subjektiven Wahrnehmungen und Sichtweisen, erschwert.

Dennoch steht das Streben nach größtmöglicher Gerechtigkeit immer mehr im Vordergrund von kulturellen Wertesystemen – vor allem in der westlichen Welt. Insbesondere das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland legt Wert auf Gerechtigkeit in vielen Bereichen des Zusammenlebens. Dies sind Grund-Prinzipien, die ich für unser Land sehe. Im internationalen Kontext ist die Gerechtigkeit noch einmal ungleich schwieriger.

Gerechtigkeit und Globalisierung

Die Globalisierung lässt die Menschheit offenbar (und hoffentlich) ein neues Bewusstsein erlangen, da die wesentlichen Herausforderungen (Klimawandel, Wachstum der Menschheit, Knappheit der Ressourcen, Wirtschafts- und Finanzkrisen) Alle betreffen und demnach Gerechtigkeit nicht alleine auf nationaler Ebene hergestellt werden muss und kann.

Dabei dürfen uns Rückschläge, wie das derzeitige Handeln von US-Präsident Donald Trump, nicht entmutigen. Ich setze darauf, dass dieses Handeln dazu führt, dass die Menschen, vor allem in den USA aber auch anderswo, umso mehr erkennen, was wirklich richtig und gerecht ist.

„Der Mensch kann nicht in einem einzelnen Lebensbereich recht tun, während er in irgendeinem anderen unrecht tut. Das Leben ist ein unteilbares Ganzes.“

Mahatma Gandhi (1869-1948), indischer Rechtsanwalt, Führer der indischen Befreiungsbewegung

„Das Leben ist ungerecht, aber denke daran: nicht immer zu deinen Ungunsten.“

John F. Kennedy (1917-63), amerik. Politiker, 35. Präsident der USA (1961-63)

In diesem Sinne

Ihr Volker Mühl


Volker Mühl